EU-Sondergipfel in Brüssel

Beim EU-Gipfel in Brüssel, der Sondertagung des Europäischen Rates am 1. und 2. Oktober, trafen die Staats- und Regierungschefs zusammen, um über auswärtige Angelegenheiten, insbesondere über die Beziehungen zur Türkei und die Lage im östlichen Mittelmeerraum, und über die wirtschaftliche Basis der EU zu beraten.

Der Gipfel, der ursprünglich am 24. und 25. September stattfinden sollte, wurde aufgrund des sich in Quarantäne befindenden Präsidenten Charles Michel verschoben. Neben Gesprächen über Sanktionen gegen Belarus und die Türkei waren der Binnenmarkt, die Industriepolitik und der digitale Wandel, die Beziehungen zu China, der Bergkarabach-Konflikt und die Vergiftung von Alexej Nawalny wichtige Tagesordnungspunkte.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union brachen am Freitag aus einer diplomatischen Sackgasse heraus und verhängten Sanktionen gegen Weißrussland.

Dies war lange Zeit nicht möglich gewesen, da außenpolitische Beschlüsse in der EU einstimmig entschiedeneren müssen und Zypern seine Zustimmung zu den Strafmaßnahmen daran gebunden hatte, dass die Europäische Union auch neue Sanktionen gegen die Türkei verhängen müsse. Am frühen Freitagmorgen einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf eine Formulierung, die die Türkei zur Aufnahme ernsthafter Verhandlungen sowohl mit Zypern als auch mit Griechenland über die umstrittenen Wasser- und Energierechte drängt und Sanktionen wegen Verstößen gegen das Völkerrecht androht. Michel sagte, Brüssel hoffe immer noch, eine “positive Agenda” mit der Türkei zu erstellen und werde die Beziehungen im Dezember überprüfen.

Damit wurde Zypern zugesichert, dass die EU auch ihre Sanktionsdrohungen gegen die Türkei aufrechterhält, wenn die Türkei weiterhin in umstrittenen Gebieten des Mittelmeers nach Öl und Gas bohrt, sodass folglich die Weißrussland-Sanktionen in Kürze in Kraft treten können.

Nachdem der Kompromiss Zypern den Weg für die Aufhebung seines Vetos eröffnete, sieht die nach stundenlangen Verhandlungen beschlossene Vereinbarung derzeit Sanktionen gegen rund 40 Personen vor, die beschuldigt werden, die Präsidentschaftswahlen im August in Weißrussland manipuliert zu haben oder an der gewaltsamen Niederschlagung von friedlichen Protesten beteiligt gewesen zu sein.

Um die diplomatischen Bemühungen zur Beilegung des Konflikts nicht zu erschweren und eine mögliche Verschärfung des eingeschlagenen Kurses nicht auszuschließen, ist der Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko,  zunächst nicht unter den angesprochenen 40 Personen.

Auch in weiteren Tagesordnungspunkten waren die Staats- und Regierungschefs um Einigkeit bemüht. Sie verurteilten den Giftanschlag auf Kreml-Kritiker Alexej Nawalny als schwerwiegenden Verstoß gegen das Völkerrecht und forderten die Behörden der Russischen Föderation auf, an der Untersuchung und Aufklärung des Verbrechens mitzuarbeiten. Die EU forderte außerdem die Konfliktparteien in Berg-Karabach zum dauerhaften Waffenstillstand, zum Gewaltverzicht und zur friedlichen Beilegung des Konflikts auf und bezeichnete die Belastung der Zivilbevölkerung und den Verlust von Menschenleben als inakzeptabel.  Mit Blick auf China bekräftigten die Staat- und Regierungschefs ihr Ziel, bis Jahresende die Verhandlungen über ein umfassendes Investitionsabkommen zwischen der EU und China abzuschließen. Dieses soll Wettbewerbsbedingungen angleichen und zur nachhaltigen Entwicklung der Wirtschaftsbeziehung beitragen. Gleichzeitig äußerte die EU ihre Besorgnis zur Menschenrechtslage in China und ermutigte China, bei der Bewältigung globaler Herausforderungen und insbesondere bei der Umsetzung von Klimazielen, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Trotz dieser gemeinsamen Linie, wird der Zusammenhalt Europas derzeit weiterhin auf die Probe gestellt. Nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine gemeinsame Asylpolitik vorgelegt hat, ist der Flüchtlingsstreit neu entfacht. Ein ähnlich umstrittenes Thema, dass ebenfalls nicht auf der Tagesordnung des Sondergipfeltreffens stand, ist die Rechtsstaatlichkeit in der EU.

Zur Halbzeit der deutschen Ratspräsidentschaft hat Deutschland demnach noch drei Monate Zeit um den Eindruck der Zerrissenheit in Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu verwandeln.

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